15.2. – Amtsgericht beteiligt sich am Gedenktag

von Jochen Schwarz

Zwei Tage Haft nach drei Jahren Denkblockade

Ende Januar hat das Stuttgarter Amtsgericht die Verhängung von zwei Tagen Erzwingungshaft gegen mich beschlossen. Damit könnte, bei den üblichen Verwaltungswegen, ein Haftantritt zum 15.2. möglich sein. Passender geht es kaum: zwei Tage Freiheitsentzug für nicht bezahlte 100 € Bußgeld, verhängt für den Widerstand gegen die Vernichtung einer Parkanlage mit zweihundertjährigen Bäumen.

Welches Unrecht hier schwerer wiegt, bleibt dem gesunden Menschenverstand nicht verschlossen. Wer mit offenen Augen durch Stuttgart geht, erkennt potemkinsche Baustellen an allen Orten. Nesenbachdüker, Grundwassermanagement, Planfeststellungen, Brand- und Lärmschutz, Finanzierung …. alles ist bestgeplant auf geduldigem Papier zum Einwickeln machtgeiler Politiker und einer willfährigen Medienlandschaft.

Nichts hat sich daran in den letzten drei Jahren geändert. Der Mittlere Schlossgarten im Herzen der Stadt musste jedoch am 15.2.2012 in großer Eile vernichtet werden, trotz all der bekannten Probleme. Eine zivilisatorische Schandtat, die durch nichts zu rechtfertigen ist, die unentschuldbar bleibt. Der Grüne Kretschmann, noch nicht Ministerpräsident, wollte das einst verhindern. Und als er im Amt war, versicherte er, sich, und die Politik, nicht durch Baugruben erpressbar machen zu lassen. Kein Jahr Amtszeit war vorbei, da war der grüne Lack ab. Mehrheit statt Wahrheit – immerhin, so deutlich hat sich vor ihm kaum ein Politiker zu seinem persönlichen Machtverhalten bekannt.

Die Verantwortung liegt im Abfallcontainer

Beischlaf mit den Mehrheitspächtern

Ganz zu Recht, so sollte man meinen, gibt es daher im Rechtsstaat die Gewaltenteilung, die unabhängige Justiz, die ihren Auftrag in der Wahrheitsfindung sieht. Doch wer sich in die Niederungen des Stuttgarter Amtsgerichts begibt, oder begeben muss, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, das Wahrheit zum orwellschen Neusprech geworden ist. Die Stuttgarter Justitia blinzelt unverhohlen unter ihrer Augenbinde den Machthabern zu, als sei ihr der Beischlaf mit den Mehrheitspächtern die wahre Erfüllung.

Das sich das Stuttgarter Amtsgericht am Nasenring durch die Manege führen ließ, ist eine sehr wohlwollend formulierte Beobachtung. Jeder neue Verhandlungstag brachte haarsträubende Tatsachen ans Licht, die eigentlich zu Freisprüchen und zur Einstellung der restlichen Verfahren hätten führen müssen.

  • Das Verwaltungsgericht hatte auferlegt, dass die Stadt selbst den Beginn des Polizeieinsatzes bekannt zu geben habe. Hat sie nicht, aber Frau Richterin hat mit dem Verwaltungsrichter telefoniert, der fand es in Ordnung, also Verurteilung.
  • Bevor der Herr aber als Zeuge seine Einschätzung in der Öffentlichkeit wiederholen muss, wird eine Weisung der Stadt aus dem Hut gezaubert, die dieses Problem angeblich heilt. Natürlich folgen die nächsten Verurteilungen.
  • Nach den schriftlichen Protokollen der Polizei wurde die Versammlung ganz ordentlich, nach Inkrafttreten der Allgemeinverfügung, mehrfach sogar, aufgelöst. Aber die Protokolle sind falsch. Doch der zufällig im Gerichtsgebäude weilende stellvertretende Polizeipräsident bezeugt, dass für jeden Versammlungsteilnehmer die Auflösung doch sichtbar durch die Absperrgitter erfolgt sei. Diese Ansicht widerspricht zwar eklatant den einschlägigen Beschlüssen des Verfassungsgerichts – aber egal, es wird verurteilt.
  • In der nächsten Runde werden also die Durchsagen auf bisher nicht bekannten Tonbändern abgehört. Tatsächlich, die Polizeiprotokolle sind falsch. Stört die Richterinnen des Amtsgerichts aber nicht in ihrer Auffassung. Dann sei eben die Auflösung um 2:30 Uhr ausreichend – auch wenn keine Zeugen dafür da sind, ob ein Beschuldigter diese drei Stunden zuvor anwesend war. Verurteilung ist schließlich gerecht gegenüber den bereits Verurteilten.
  • Das Abstellen auf 2:30 Uhr warf aber die Frage auf, wie das zur Weisung der Stadt passt, wonach der Einsatzbeginn auf 3:00 Uhr festgelegt sei, wie inzwischen gerichtsbekannt und Basis von Verurteilungen. Das Gericht wäre also nach einschlägigen Beschlüssen des Verfassungsgerichts zur Prüfung dieser Auflösung verpflichtet gewesen – und zwar vor Verurteilungen. So eine Prüfung kann eine Stuttgarter Amtsrichterin ganz einfach und frei im Gerichtssaal als soeben durchgeführt behaupten – und erstmal wieder verurteilen.
  • Zur Rettung der Lage taucht nun erneut ein Schreiben der Stadt auf, nach dem angeblich eine Allgemeinverfügung für die vorzeitige Versammlungsauflösung erlassen wurde. Damit hat sich das Prüfen erstmal erledigt und es kann bequem der Durchsetzung von Gerechtigkeit nachgegangen werden.
  • Dummerweise wurde nach dieser neuen Allgemeinverfügung ein Versammlungsort zwischen Biergarten und Planetarium zugewiesen. Komisch, denn da hielten sich die meisten Versammlungsteilnehmer auf. Komisch auch, dass ein solcher Text nie vorgetragen wurde. Peinlich dann, dass der verfügende Herr vom Ordnungsamt als Zeuge aussagte, diesen Text „zwischen 2:30 und 3:00, eher um 3:00 Uhr“ verfasst zu haben – also nach der Auflösung, die doch gerade mit diesem Text gerechtfertigt werden sollte.

Das hinderte die Richterin nicht, mich trotzdem zu verurteilen. Denn klar, der Prüfung der Rechtmäßigkeit sei ja nun, in zwei Verhandlungstagen genüge getan, alles andere wäre ungerecht …

Auch für das nachfolgende, letzte Verfahren musste ein zweiter Verhandlungstag angesetzt werden. Aber offenbar fand man nun keine weiteren Dokumente, keine hohen Beamten spazierten zufällig durchs Gerichtsgebäude, kein höherer Richter war zu einem Telefoninterview mehr bereit – das Verfahren wurde nicht wieder aufgenommen, sondern sang- und klanglos eingestellt.

Wieder ein vergeigter Großeinsatz – rechtswidrig

Nun betreiben wir, seit Jahren, die Feststellung der Rechtswidrigkeit dieses Polizeieinsatzes vor dem Verwaltungsgericht. In der Klageerwiderung der Stadt sind fast alle Ungereimtheiten wieder enthalten. Angeblich wurde der Bereich bereits vor 3:00 abgesperrt, angeblich wurde nach 3:00 aufgelöst, angeblich mehrfach, und wieder belegt mit den falschen Dokumenten der Polizei. Erstaunlich ist jedoch, dass die ominöse zweite Allgemeinverfügung gar nicht angeführt wird.

Möglicherweise ist in der Nacht einfach jemand zu blöd gewesen, die Ansagetexte richtig zu sortieren und vorzutragen. F.1 vor J.1 – ist zwar naheliegend, aber falsch, dumm gelaufen. Und wäre man bei der Stadt nicht so verbissen dahinter her gewesen, die Menschen auch noch mit Bußgeldern zu verfolgen, hätte das auch niemand bemerkt.

Zur Jahrhundertschande der Rodung des alten Schlossgartens und der erneuten, kriminellen Vernichtung von Juchtenkäferhabitaten, gesellt sich noch die Peinlichkeit eines vergeigten Großeinsatzes der Polizei. Sie wollten es doch diesmal richtig machen, nicht wie am 30.9.2010. Da muss eben im Bestrafungseifer, in immer neuen Wendungen, die Wirklichkeit verbogen werden.

Es kann nicht sein, was nicht sein darf

Dass die Frau Richterin nun Erzwingungshaft gegen mich angeordnet hat, erstaunt mich überhaupt nicht. Wer 25-mal mit ungenügenden Beweisen verurteilt, muss das eigene Versagen beim 26. ignorieren. Die Vernunft hätte es geboten, wenigstens den Ausgang unserer Klage abzuwarten. Schließlich hat das Landgericht erst kürzlich im Berufungsverfahren der einbetonierten Rowos auf Freispruch entschieden, auch weil die Rechtmäßigkeit der Auflösung der Versammlung, zumindest, zweifelhaft ist.

Die Richterin ist trotzdem überzeugt davon, dass ich mich einschüchtern lasse, das Bußgeld von 100 € (und die sonstigen Verfahrenskosten) zu bezahlen, oder bezahlen zu lassen. Sie hat sich getäuscht, so wie sie sich und ihre Kolleginnen haben täuschen lassen. Es geht eben um (bei Erzwingungshaft nicht zulässige) Bestrafung. Ansonsten müsste ich vermuten, dass sie auch an die pünktliche Fertigstellung von Stuttgart21 glaubt, dass der Kostendeckel eingehalten wird, dass dieser Wunderbahnhof leistungsfähiger ist. Nein, vieles, und auch wenn das Mehrheitsauffassung einer sogenannten Volksabstimmung war, aber das will ich einer Stuttgarter Amtsrichterin nicht unterstellen.

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Ich denke, ich werde meine Zelle mit Fotos von unseren Bäumen verschönern. Zwei Tage in freien Gedanken durch unseren Park spazieren. Das können sie uns nicht nehmen. Aus dieser Erinnerung speist sich unsere Kraft, nicht nur am Jahrestag der Vernichtung des Mittleren Schlossgartens.

Ihr kriegt uns nicht los – wir Euch schon!

Jochen Schwarz