Auferstehung im Advent

Es ist Advent – und der gepriesene Wunderbahnhof wird kommen. So verheißt es ein kürzlich spendiertes Großposter der Bahn dem vorbei eilenden Bahnreisenden. Die präsentierte schöne neue Welt ist allerdings nicht nur ernüchternd hässlich, sondern auch mit Merkwürdigkeiten gespickt. Doch was schert es noch den von Verspätungen und Gleisänderungen geplagten Kunden, den geplünderten Steuerzahler, den Bürger Stuttgarts, der nur noch als konformierter Stöpsel den öffentlichen Raum dekorieren darf?

Es bleibt nicht viel Platz zwischen den Glubschaugen, zum Verweilen lädt hier nichts ein, und man sehnt sich unter die Baumreihe vor dem nutzlosen Bahnhofsgebäude. Doch da werden nur Bäumchen wachsen können, auf diesem begehbaren Dach. Und wenn man genau schaut, so tut sich auch noch ein nicht unerheblicher Höhenunterschied zwischen dem Inneren der ehemaligen Bahnhofshalle und dem vermeintlichen Platz auf.

Als besonders gelungen muss man dem Erschaffer dieses Posters allerdings bescheinigen, wie er den Übergang des über dem heutigen Geländeniveau liegenden Hallendachs zum deutlich niedriger gelegenen Schlossgarten dekoriert hat.

Und schaut man noch genauer hin, feiert hier ein längst gefällter Baum seine virtuelle Auferstehung. Die große Platane am Rande des ehemaligen ZOB, am Zugang zum Park vom Südausgang des Bahnhofsgebäudes. Oder hätte der Baum gar nicht gefällt werden müssen? Zumindest als Dekoration einer architektonischen Wüstenei taugt der alte Baum.

An einem Stammstück aus etwa fünf Meter Höhe ließen sich 170 Jahresringe zählen. Der Baum war von Juchtenkäfern besiedelt – und trotz deutlicher Hinweise auf diesen Sachstand, trotz angeblicher ökologischer Bauüberwachung, am 17.2.2012 gefällt worden. Die Tötung geschützter Arten, die Zerstörung ihrer Lebens- Ruhe- und Vermehrungsstätten stellt eine Straftat dar. Bis heute wurde dieser Frevel nicht geahndet, trotz einer Umweltmeldung des LNV.

Das tolle Adventsposter der Bahn erinnert in seiner derzeitigen Version also auch an eine begangene Umweltstraftat. So ragt die unschöne Vergangenheit in die so wunderbar ausgemalte Zukunft. Von uns heute Lebenden wird niemand jemals ein solches Bild in der Realität verwirklicht sehen – wenn der Murks überhaupt je fertig wird. Und sollte dort einmal wieder ein Baum 170 Jahre alt geworden sein, existiert diese in Beton gegossene Architektenphantasie nicht mehr.

Es wird aber auch bestimmt nicht die letzte Version des virtuellen Bahnhofs sein. Der sogenannte Baufortschritt lässt noch viel Zeit für immer neue Schautafeln. Sind wir also gespannt, wo denn nun die Fluchttreppenhäuser auf diesem Platz den Weg aus der potentiellen Brandhölle markieren. Die entsprechende Posterversion kann noch warten, denn vom Berliner Flughafen wissen wir ja, dass man den Brandschutz erst kurz vor der Eröffnung abarbeitet – und Wehe, da verweigert einer die Genehmigung – nicht in Stuttgart, da herrscht Projektförderpflicht.

Jochen Schwarz