Die inzidente Umweltverträglichkeitsprüfung – Eine Analyse der Protokolle

Petermanns Flaschenpost – Erörterungstermin 7. Planänderung – Teil 17

Flaschen_Advent_kleinDiese Wortschöpfung der Leiterin des EBA-Stuttgart könnte ebenfalls im Umweltrecht Geschichte schreiben. Gemeint ist damit, dass weil man die Anträge der Bahn an das Regierungspräsidium weitergeleitet habe, sei damit automatisch eine gesetzlich notwendige Vorprüfung durchgeführt, die sich allerdings nicht auf Papier verdinglicht habe. Zwischenzeitlich hat man also nun nachträglich vorgeprüft und im Internet verdinglicht. Diese Handhabung entspricht Schiebergeschäften auf einem Schwarzmarkt (um ein mildes Beispiel zu wählen) – da gibt es auch kein Prüfergebnis, keinen Kaufvertrag und mit der Bezahlung ist allem zugestimmt. Eine formale Kleinigkeit ist dieses Vorgehen sicher nicht.

Die Bahn stellt sich auf den Standpunkt, einmal eine Genehmigung incl. UVP bekommen zu haben. Und solange man in der formal im UVP-Gesetz enthaltenen Kategorie bis 10 Millionen Kubikmeter Wasser bleibt, sei auch nichts erneut zu prüfen.

Gleichwohl stellt die Abweichung um 125% doch eine ganz andere Qualität des Eingriffs dar. Auch die UVP wurde zur Planfeststellung auf den modellbasierten Prognosen durchgeführt. Wenn nun die Realität, auf Basis von Erkenntnisgewinn durch Probebohrungen, eine ganz andere geworden ist, sich die geologischen Schichten als um 30-50% durchlässiger erwiesen haben, dann kann man nicht mehr von gleichen Kategorien reden. Um die Zuverlässigkeit der Grundwassermodelle wird also auch in diesem Zusammenhang noch heftig zu streiten sein.

Und wenn man sich noch mal um 125% verkalkuliert hätte, hat man die formale Kategorie auch locker überschritten. Aber ja, das liegt in Zukunft, wenn es nach Bahn und Stadt gehen würde, natürlich nur an wetterbedingten Zuflüssen.

Die getäuschte Genehmigungsbehörde

In den Antragsunterlagen der Bahn ist auch eine sogenannte Umwelterklärung enthalten. Das ist ein Formular, bei dem man unterschiedliche Umweltauswirkungen des Antrags ankreuzen kann. Im Falle einer Bejahung der Frage folgt eine Empfehlung des EBA.

Im Falle der Rohrleitung zwischen den Wasserbehandlungsanlagen am Abstellbahnhof und am Hauptbahnhof lautet die Empfehlung des EBA: Umweltverträglichkeit prüfen. Das hätte das Amt sicher gerne veranlasst, aber woher sollte man wissen ….

Da diese Rohrleitung völlig neu ist, konnte auch nie eine UVP darüber erfolgen. Die erhöhten Wassermengen zwingen nämlich die Bahn zu dieser konzeptionellen Änderung, die Planfeststellungsbschnitte miteinander zu verbinden, und je nach Wasserandrang auszuwählen, in welcher Reinigungsanlage nun freie Kapazitäten zur Filterung genutzt werden können. Das aus den Baugruben geförderte Wasser ist mit Ölen und wassergefährdenden Betonzuschlagsstoffen verschmutzt, und es enthält möglicherweise erhebliche Altlasten. Das kann man in den bestehenden Planfeststellungsbeschlüssen auch nachlesen. An dieser belasteten Wasserqualität hat sich durch die Antragstellung nichts geändert.

Dieses verunreinigte Wasser wird auf 3,5 Kilometer durch das FFH-Gebiet Rosensteinpark, durch das Naturdenkmal Platanenallee, entlang von potenziellen Juchtenkäferhabitaten und durch das Heilquellenschutzgebiet transportiert. 120.000 Liter enthält diese Leitung permanent. Sicherheitsvorkehrungen sind nirgends festgesetzt, weil so getan wird, als würde in den blauen Rohren nur sauberes Wasser transportiert.

Grundwasser – in hauchdünnen Scheibchen

Die Eingriffe in das Grundwasser und die daraus resultierenden Risiken sind massiv. Das angeblich bestgeplante Projekt hat sich inzwischen als ein „doing without learning“ erwiesen. Die ständigen Anpassungen an angeblich neue Erkenntnisse sind zum völlig unglaubwürdigen Dauerbrenner geworden. Vor der siebten Planänderung genehmigte man die nachgeholte fünfte, die man Teile der siebten bereits einbaute. Die neunte, zehnte und elfte Planänderung betreffen ebenfalls Eingriffe in die Grundwasserstockwerke. Sie benötigten ebenfalls, z.B. wegen des Heilquellenschutzes, Sondergenehmigungen der Stadt.

Inzwischen steht die 14. Planänderung zur Genehmigung an. Wieder ohne Bürgerbeteiligung. Es geht um den Nesenbachdüker, der unter dem Sargbahnhof hindurchgeführt werden muss. Zunächst war eine bergmännische Bauweise vorgesehen. Wegen der enormen Tiefe des Bauwerks, und damit der Nähe zum Mineralwasser war ein Bauen unter Druckluft als ideale Bauweise im Planfeststellungsbeschluss genehmigt worden. Nun also soll eine offene Baugrube entstehen. Und wieder hat dieses Bauwerk massiven Einfluss auf das laufende Verfahren, denn es wird Monate dauern, und über diese Zeit eine Wasserhaltung erfordern.

Das Umweltrecht schreibt eine Zusammenlegung solcher Verfahren vor, die sich durch gleichartige Umweltauswirkungen im räumlichen und zeitlichen Zusammenhang auszeichnen. Bisher wird dieses Recht hartnäckig ignoriert – das Durchmarschprojekt duldet keine Gesamtschau, denn sie wäre verheerend. Auf dem Wege eines Verwaltungsgerichtsverfahrens wird zusätzlich zu den entsprechenden Einsprüchen versucht, diese offensichtliche Salamitaktik zu beenden.

Das letzte Stündlein hat geschlagen …

Die Manipulation des Grundwassers ist die Achillesferse des ganzen Projektes. Die zentralen Planabschnitte mit den ganzen Tunnelbauwerken und Großbaugruben sind nicht realisierbar ohne die beantragte Genehmigung. Der simulierte Tunnelanstich in Wangen, in einem wenige Meter tiefen Loch, ist ein weiterer, deutlicher Hinweis auf unseren Erfolg.

Wie es nach dem 12.12. weitergeht, wird zunächst das Regierungspräsidium entscheiden müssen. Die Verhandlungsleitung bezeichnete ihre Aufgabe mal als Amtsermittlungspflicht. Sie werden entscheiden müssen, ob das Anhörungsverfahren nun als erfolgreich zu beenden oder weiterzuführen ist. Sie müssen, auf Basis der zusammengetragenen Unterlagen, dem Antrag der Bahn eine „Entscheidungsreife“ beimessen, um den Vorgang wieder ans EBA zu verweisen. Aus den Protokollen ergibt sich jedoch das Gegenteil – ein amtlicher Ermittler, der seinen Auftrag ernst nimmt (und im Übrigen von den Bürgern dafür bezahlt wird), kann eigentlich nicht anders entscheiden, als dass es noch erheblichen Klärungsbedarf gibt. Die Antragsunterlagen sind so offensichtlich fragwürdig, dass man mit ihnen nie hätte die Anhörung einleiten dürfen.

Wer nach diesem Offenbarungseid der Bahn noch Genehmigungen ausspricht, Risiken vernachlässigt oder kleinredet, öffentliche Gelder oder gesellschaftliches Vermögen bewilligt, weitere Zerstörungen zulässt, handelt extrem fahrlässig und macht sich, bei entsprechender Position, auch der Amtspflichtverletzung schuldig.

Die geordnete Beendigung von Stuttgart 21 ist eingeleitet

Wer sich intensiv die 1.200 Seiten durchliest, kann nur zu diesem Schluss gelangen. Wir werden in den folgenden Tagen unsere wichtigsten Erfolge kurz beleuchten. Dieses Protokoll, dazu die ganzen Vortragsfolien und zusätzlichen Stellungnahmen, gehören ins Landessarchiv – dieser Einsatz von so vielen Menschen hat sich in jedem Fall gelohnt. Halten wir noch einmal richtig dagegen; noch einmal mit ganzer Kraft gegen die Beschwichtigungen, Verdrehungen, Halb- und Unwahrheiten angehen.

Als letztes soll der TOP „Lärm, Erschütterungen, verkehrliche Belange“ aufgerufen werden. Es ist festzustellen, dass zahlreiche Punkte zum Thema Wasser (zusätzlicher unterirdischer Zufluss, Altlasten etc) gar nicht oder nur ungenügend behandelt wurden. Das Thema Natur & Landschaft bekam eine gute Stunde, der Rest wurde auf unbekannt verschoben. Die Planrechtfertigung, bei der man natürlich über die planerische Angemessenheit der Antragslösung und ihre Fähigkeit reden muss, zielführend zu sein, wurde nicht abgeschlossen. Die Rednerlisten konnten nicht abgearbeitet werden.

Also, geben wir uns die Ehre, geben wir dem GWM den Rest, unterstützen wir noch mal unsere versierten Fachleute, bringen wir uns ein, zeigen wir dem Regierungspräsidium, das wir uns nicht einfach abspeisen lassen, zeigen wir den Herrschaften, wo der Hammer hängt, machen wir den Sack zu …

PS: die Weitergabe des Protokolls ist unter Strafandrohung aus datenschutzrechtlichen Gründen verboten worden. Auch das Zitieren ist nicht erlaubt. EinwenderInnen können das Protokoll beim Regierungspräsidium einsehen oder auf CD erhalten.

Petermanns Flaschenpost – Artikel der Serie

Teil 1 – Jetzt nicht nachlassen!
Teil 2 – Zum Zuschauer degradiert?
Teil 3 – Wasser geht uns alle an!
Teil 4 – Ordnung für 3 Tage – die Tagesordnung
Teil 5 – „Ich will das wissen …“
Teil 6 – Stuttgarter Untergrund
Teil 7 – Bad Cannstatt – Bad Berg – Bad Nepp
Teil 8 – Die Hänge sind sicher
Teil 9 – Der Boden, auf dem wir stehen
Teil 10 – Experimentierfeld Schlossgarten
Teil 11 – Grober Unfug hat keine Rechtfertigung
Teil 12 – Vorprogrammierte Betriebsstörung
Teil 13 – Merkzettel – das Wichtigste zusammengefasst
Teil 14 – Bürgerbeteiligung als Lehrstück
Teil 15 – Erörterung feiert Advent, Advent …
Teil 16 – Das ist noch längst nicht alles gewesen

Ein Gedanke zu „Die inzidente Umweltverträglichkeitsprüfung – Eine Analyse der Protokolle“

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