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Der Chilireiter

Wer reitet so spät durch Garten und Heim?
Es ist der Chilihead mit seinem Keim.
Er hat das Pflänzchen wohl in dem Arm,
Er hält es hell, er hält es warm.

Mein Keimling, was birgst du so bang dein Blättergesicht?
Siehst Chilihead, du die Trauermücke nicht!
Die Trauermück mit Eiern und Made?
Mein Keimling, hab keine Zeit gerade.

Du liebe Chili, du mundest mir!
Gar schöne Wurzeln, hast du bei dir,
Manch bunte Blüte bekommst du durch mich am Strauch,
Und leckere Früchte versprech ich dir auch.

Mein Chilihead, mein Chilihead, und hörest du nicht,
Was die Trauermück mir leise verspricht?
Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind,
In dürren Blättern der letzten Chilis säuselt der Wind.

Willst feiner Keimling du mit mir geh’n?
Meine warmen Gewächshäuser sind so schön,
Meine Larven führen den nächtlichen Reihn
Und betten die Wurzeln warm und trocken dir ein.

Mein Chilihead, mein Chilihead, und siehst du nicht dort
Trauermück’s Larven am düsteren Ort?
Mein Keimling, mein Keimling, ich seh’es genau:
Es scheinen die Wurzeln gar saftig grau.

Ich lieb dich, mich reizt deine schöne Gestalt,
Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt!
Mein Chilihead, mein Chilihead, jetzt beißt sie mich an,
Trauermück’s Larve hat mir ein Leid getan.

Dem Chilihead grauset’s, er reitet geschwind,
Er hält in den Armen das ächzende Capsicumkind,
Erreicht das Forum mit Mühe und Not,
In seinen Armen das Pflänzchen war tot.

Mit Dank an Johann Wolfgang von Goethe „Der Erlkönig“
Interpretation Lob anno 2012