Versammlungsfreiheit ist Grundrecht

von Jochen Schwarz

Polizeiwillkür nur im Unrechtsstaat!?

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat es sich nicht nehmen lassen, zum härtesten Mittel zu greifen, dass der Staatsgewalt bei uns zusteht: der Freiheitsentziehung. Durch eine zweitägige Erzwingungshaft soll ich dazu gepresst werden, die verhängten 100 € Bußgeld zu bezahlen, oder durch andere bezahlen zu lassen. Das werde ich nicht tun. Das wissen die Herren und Damen auch – aber sie wollen mich bestrafen, auch wenn das nicht zulässig ist. Und das muss eben noch jetzt sein, bevor das Verwaltungsgericht den Polizeieinsatz vom 15.2.2012 für rechtswidrig erklärt.

Vor allem aber: dieser Bestrafungseifer ist peinlich! Die Kleingeistigkeit, mit der hier Unrecht fortgesetzt exekutiert wird, ist eigentlich unfassbar. Auf Basis von völlig unglaubwürdigen Aussagen, nicht haltbaren Beweisen, falschen Dokumenten und gesetzwidrigen Verfügungen wurden Menschen verurteilt, denen nichts anderes vorzuwerfen war, als dass sie von ihrem Grundrecht der Versammlungsfreiheit Gebrauch gemacht haben, und sich dem offenkundig rechtswidrigen Verhalten der Polizei nicht fügten.

IMG_5509Blicken wir zurück auf die Zeit vor dem 15.2.2012. Die Vernichtung des Mittleren Schlossgartens war beschlossene Sache. Mittels einer Allgemeinverfügung hat die Stadt Stuttgart jegliche Versammlungen im Vorfeld verboten. Ein massiver Eingriff in die Freizügigkeit, das Demonstrationsrecht und die Versammlungsfreiheit. In einem Eilverfahren vorm Verwaltungsgericht wurde immerhin durch eine Auflage klar gestellt, dass die Stadt Stuttgart selbst diese Verfügung bekannt geben muss. Formal wurde damit die Trennung des Handelns von Verwaltungsbehörde und Polizei verfügt.

Verfassungskosmetik und/oder
Ignoranz der Gerichtsbarkeit?

Man mag das für Kosmetik halten. Aber die Polizei hat nicht das Recht, Versammlungen im Vorfeld zu verbieten. Sie darf Versammlungen auflösen bzw. für aufgelöst erklären – dafür braucht es aber einen Rechtsgrund, z.B. eine gültige Allgemeinverfügung, mit der auch friedliche Versammlungen an bestimmten Orten zu bestimmten Zeiten als nicht genehmigungsfähig verboten sind, oder verboten werden würden, wenn sie jemand anmelden möchte. Und damit ist klar, dass sich die Polizei diese Rechtsgrundlage nicht einfach selbst zusprechen darf – jedenfalls nicht in einem freiheitlichen Rechtsstaat.IMG_5506Die Polizei erklärte die Versammlung in der Nacht des 15.2.2012 um 2:30 für aufgelöst. Zu der Zeit gab es keine rechtsgültige Allgemeinverfügung. Es gab auch keinerlei unfriedliche Auseinandersetzungen oder Bedrohungen. Es gab keine objektiven Tatsachen, die eine unbeherrschbare Gefahrenlage im Falle eines Fortbestehens der Versammlung für möglich erscheinen ließen. Die Polizei handelte also willkürlich im Eigenermessen irgendwelcher taktischen Überlegungen.

Damit war genau das eingetreten, was durch die Auflage des Verwaltungsgerichts hätte verhindert werden sollen. Ganz offenbar scherte man sich einen Dreck um den Beschluss, den man wohl überschwänglich als Bestätigung der eigenen Vernichtungsplanung angesehen hat. Denn wer im Schlossgarten auf die Bekanntgabe der Allgemeinverfügung durch die Stadt wartete, wurde enttäuscht. Die Herren fanden es angemessener, im warmen Führungshauptquartier zu sitzen, und das, wofür sie bezahlt werden und wozu sie verpflichtet sind, an andere zu delegieren. Und im Sinne der Polizei war dieses Vorgehen sowieso.

IMG_5496Die in den Bußgeldverfahren erst nachträglich eingebrachte Weisung an die Polizei zum Einsatzbeginn sollte vor allem den Richterinnen die Verurteilungsbegründung erleichtern. Mehr kann ich darin nicht sehen. Die schriftlichen Protokolle zum Polizeieinsatz erwiesen sich durchgängig als falsch. Sie sollten vorgaukeln, dass hier eine rechtsgültige Versammlungsauflösung stattgefunden hat, gegen die die Beschuldigten verstoßen hätten.

Die dann am Ende der Verfahrenskette in argumentativer Not eingeführte zweite Allgemeinverfügung kann man nur als behauptet betrachten.

Präventives Versammlungsverbot nur bei polizeilichem Notstand

Unsere Fortsetzungsfeststellungsklage gegen die Versammlungsauflösung um 2:30 Uhr hat hohe Erfolgsaussichten. Der VGH Mannheim hat am 6.11.2013 die Anforderungen an eine Allgemeinverfügung mit Versammlungsverboten, die 2011 anlässlich eines Atommülltransportes ergangen war, sehr deutlich klargestellt, und die betreffende Allgemeinverfügung für rechtswidrig erklärt.

Da die streitgegenständliche Allgemeinverfügung auf ein vollständiges Verbot auch von friedlichen Versammlungen gerichtet war, wäre sie nur rechtmäßig, wenn die Voraussetzungen des polizeilichen Notstands vorgelegen hätten […] Denn insoweit wurde durch die Allgemeinverfügung auch die Versammlungsfreiheit von Veranstaltern und Versammlungsteilnehmern beschränkt, die nicht die Absicht hatten, sich an durch Art. 8 GG nicht gedeckten Verhinderungsblockaden oder anderen rechtswidrigen Aktionen, etwa Beschädigungen der Gleisanlagen, zu beteiligen.

[…]Die Rechtsfigur des polizeilichen Notstands setzt voraus, dass die Gefahr auf andere Weise nicht abgewehrt und die Störung auf andere Weise nicht beseitigt werden kann und die Versammlungsbehörde nicht über ausreichende eigene, eventuell durch Amts- und Vollzugshilfe ergänzte, Mittel und Kräfte verfügt, um die Rechtsgüter wirksam zu schützen.[…]

[…]Voraussetzung des Einschreitens gegen eine friedliche Versammlung ist eine hohe Wahrscheinlichkeit in der Gefahrenprognose sowie die vorherige Ausschöpfung aller anwendbaren Mittel, um eine Grundrechtsverwirklichung der friedlichen Demonstranten zu ermöglichen.[…]

[…]Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines polizeilichen Notstands liegt bei der Versammlungsbehörde[…]

Dass der Herr S. vom Ordnungsamt zu einer Begründung seiner angeblich vorgezogenen Allgemeinverfügung in der Lage ist, die diesen Anforderungen genügt, darf bezweifelt werden. Das Verwaltungsgericht Stuttgart wird ihn hoffentlich eindringlicher befragen, als die Amtsrichterin in meinem Bußgeldverfahren, bei ihrer vorgeblichen Prüfung der Rechtmäßigkeit der Versammlungsauflösung.

Verfassung in Not

Erinnern wir uns: „D-Day“-Planung schon Monate im Voraus, 9.000 Polizisten angekündigt, Wasserwerfer in Wartestellung, Gefangenencontainer am Wasen, rund um die Uhr Videoüberwachung im kompletten Umfeld von Bahnhof und Park. Der bestgeplante Einsatz zum bestgeplanten Projekt. Und das alles mit wohlwollender Begleitung von Politikern und eingebetteten Medien. Notstand herrschte da eher für unsere Grundrechte.

IMG_5482Man könnte das auch als psychologische Kriegsführung ansehen, als schamloses Ausnutzen der am 30.9.2010 ausgelösten Traumatisierung bei vielen Einwohnern der Stadt, die es eigentlich für berechtigt gehalten haben, gegen die Vernichtung des Schlossgartens zu protestieren. Und es steht zu vermuten, dass die Versammlungsauflösung mit Platzverweisen und Androhung von Gewalt genau so wirken sollte, damit man es ab 3:00 Uhr schlicht einfacher hat, weil viele Menschen verunsichert auf die Wahrnehmung ihres Rechts verzichten könnten.

Im Vorfeld der beschlossenen Rodung wurde ein extrem protestfeindliches Klima erzeugt. Die Feinstaubmetropole fühlt sich durch Straßenkreide auf dem Asphalt strafbar beschmutzt, Menschen werden aus der Montagsdemo heraus verhaftet oder zur Personalienfeststellung gezwungen. Freie Journalisten, Fotografen und Streamer werden durch Staatsanwaltschaft und Polizei belästigt. Jede Zusammenkunft, und seien es Gebete im Park, wird von Polizei begleitet und gefilmt. Zivilpolizei, teilweise bewaffnet, zumindest verdächtig, Straftaten zu provozieren, wird in jede Demonstration eingeschleust. Vergessen wir auch nicht die unsägliche Hetze gegen die Zeltbewohner im Schlossgarten.

Zahlreiche Verwaltungsgerichte haben in den letzten Jahren klarstellen müssen, dass polizeiliche Maßnahmen, die dazu geeignet sind, Menschen durch Einschüchterung von der Teilnahme an friedlichen Versammlungen abzuhalten, wie z.B. das Filmen, rechtswidrig sind.

„Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln“ – Artikel 8, Grundgesetz

Sich friedlich, aber massenhaft versammelnde Menschen mögen für die Polizei hinderlich sein. Und natürlich hat ein Jahrhundertprojekt, durch das ein Jahrhundert-Bauwerk zerstört und ein jahrhunderte alter Park vernichtet werden, auch einen Jahrhundert-Protest verdient. Darf das einen freiheitlichen Staat zum Aufgeben seiner Prinzipien bringen? Doch wohl kaum. Es wäre in der Tat ein Jahrhundert-Polizeieinsatz gerechtfertigt gewesen – die Rechte und die Würde der protestierenden Menschen achtend.

Aber in Stuttgart (und leider auch sonst so in der Republik) wird mit allen Mitteln versucht, diese lästige Versammlungsfreiheit einzuschränken. Politik, Verwaltung, Polizei, Amtsgerichte und Staatsanwaltschaften sehen darin offenbar ihre Hauptaufgabe, anstatt umgekehrt, dieses Grundrecht als Kernelement einer freien Gesellschaft und einer offenen Diskussionskultur und Meinungsbildung zu schützen und zu fördern.

IMG_5480Die Fragen, ob der Protest gegen S21 gerechtfertigt ist, ggf. mit welchen Mitteln er geführt werden sollte, ob nicht gar ein rechtfertigender Notstand den Bürgern der Stadt zusteht, ob das unnötige Abholzen des Parks rechtmäßig, oder durch die Vernichtung der Juchtenkäfer sogar strafbar war – das alles kann und muss man diskutieren, aber es spielt in diesem Fall keine Rolle. Es muss zuallererst um die Wahrnehmung und Wahrung des bestehenden Rechts gehen, dass allen Bürgern schlicht zusteht. Allen im Park versammelten Menschen wurde das Recht, sich frei zu versammeln, von der Polizei genommen. Mit den Bußgeldern sollte dieser Protest noch zusätzlich bestraft werden, um von weiteren Protesten abzuschrecken.

In dieser Logik hängt das bornierte Verhalten von Amtsgericht und Staatsanwaltschaft immer noch fest. Sie wissen längst, dass sie auf verlorenem Posten stehen. Aber sie reichen ihre Entscheidungen einfach von Schreibtisch zu Schreibtisch zur Poststelle, zur Polizei, zur Justizvollzugsanstalt weiter, ganz der deutschen Rechtstradition verpflichtet, jeder nur ein verantwortungsloses Rädchen – in diesem Falle im Dienste einer korrumpierenden Projektförderpflicht zum Gelingen eines das ganze Land blamierenden Großprojektes.

IMG_5534Meine Haft werde ich am 4.3. in der JVA-Neubrandenburg antreten – renovierter Stasi-Knast aus den letzten Tagen des, so gescholtenen, Unrechtsstaates, der durch Massenversammlungen zum allseits bejubelten Untergang gebracht wurde. Gerne kann man mir schreiben. Aber treffgenau für zwei Tage? Die JVA kann eh nix dafür, dass sie mich als Besucher bekommt. Dort ist die Unterbringung von Menschen in Erzwingungshaft im Gefängnisalltag schon lästig genug. Und ob sich die RichterInnen und StaatsanwältInnen, die Gerichtspräsidentin gar, über Post freuen, zu einer Inhaftierung, die ihnen Schnurz bzw. Methode ist, kann ich nicht beurteilen.

Aufhebung der Unrechtsurteile!

Jedoch wichtig erscheint mir eine große Beteiligung und Beachtung unserer Fortsetzungsfeststellungsklage gegen die Versammlungsauflösung am 15.2.2012. Da geht es um unser Versammlungsrecht, um unsere Verfassung – eigentlich wie täglich, aber nicht auf der Straße, sondern mal wieder im Gerichtssaal. Im Erfolgsfall werden die Unrechtsurteile des Amtsgerichtes aufgehoben werden müssen. Dann bleibt in Erinnerung eine einzige mutige Richterin am Amtsgericht, die sich getraut hat, am Ende aus der verordneten Phalanx auszusteigen und den Unsinn einzustellen.

„Unter Berücksichtigung der sich bislang aus der Akte ergebenden Gesichtspunkte erscheint eine Ahndung der Tat nicht geboten“

Die Anordnung der Erzwingungshaft gegen mich lag einzig im Ermessen der Richterin, die mich verurteilt hat – sie konnte, aber sie hätte nicht gemusst. Sie hätte auch die Haft für nicht geboten erachten können, wenigstens bis zur Entscheidung im Verwaltungsgerichtsverfahren.

Man kann mich mit dieser Haft nicht strafen. Man kann mir damit nicht mal schaden. Der Schaden für das Ansehen des Stuttgarter Amtsgerichts und allgemein für die Rechtskultur im Land ist deutlich höher. Es ist an uns allen, täglich und überall, dass auch der Versuch scheitert, durch derartige Beschlüsse die Wahrnehmung unserer freiheitlichen Rechte durch Einschüchterung zu behindern. Versammlungsfreiheit ist Grundrecht!

Ihr kriegt uns nicht los – wir Euch schon!
Jochen Schwarz

Material

Kommentierte Kurzfassung des zitierten VGH Urteils oder Volltext
Allgemeinverfügung vom 15.2.2012 dazu zum VergleichLandgericht Stuttgart – Freispruch zum 15.2.2012 für ROWOs
Oberverwaltungsgericht Koblenz zum Filmen bei Demos
Verwaltungsgericht Göttingen zum Filmen bei Demos
Verwaltungsgericht Göttingen zu Zivilbeamten bei Demos